Berücksichtigung von Lernereigenschaften
Expertise bzw. Vorwissen
Überblick
Das Vorwissen bzw. die Expertise ist die am besten untersuchte Lernereigenschaft in E-Learning Studien. Auf diesen Webseiten sollen die folgenden Gestaltungsempfehlungen erörtert werden, die dabei explizit zwischen Novizen und Experten unterscheiden:
- Expertise-Umkehr-Effekt (expertise reversal effect)
- Vorübungsprinzip (strategic scaffolding und pictorial scaffolding)
- Effekt der Isolation interagierender Elemente
- Imaginationseffekt
Expertise-Umkehr-Effekt
Definition: Expertise-Umkehr-Effekt
Der Expertise-Umkehr-Effekt (zum Zusammenhang zwischen Expertise-Forschung und CLT-Forschung siehe z.B. Rikers, Van Gerven und Schmidt, 2004; Van Gog, Ericsson, Rikers und Paas, 2005) besagt, dass das Vorwissen einen moderierenden Einfluss auf bestimmte andere Gestaltungsempfehlungen der CLT besitzt (Sweller, 2004). Dabei kehrt sich der Effekt manchmal auch als Vorwissensprinzip bezeichnet der jeweiligen Gestaltungsprinzipien häufig nicht gänzlich um, sondern die relative Effektivität der Empfehlungen nimmt in Abhängigkeit des Vorwissens lediglich eine schwächere Form an (Kalyuga, 2005). So zeigen sich durch Erhöhung der Variabilität in unterschiedlichen Lernübungen (Variabilitätseffekt) und Imagination bereits gelernter Arbeitsschritte im Arbeitsgedächtnis (Imaginationseffekt) bei Lernenden mit hohem Vorwissen positive Effekte auf die Lernleistungen (Sweller, 2002). Bei Novizen hingegen können die beiden aufgeführten Effekte die Lernleistungen bisweilen sogar reduzieren (siehe hierzu Kalyuga, 2007b). Ähnlich verhält es sich beim Redundanzeffekt. Informationen können für Experten bereits redundant sein und sich damit lernhinderlich auswirken (vgl. auch Wittwer und Renkl, 2008), während Lernende mit niedrigem Vorwissen auf diese Informationen noch angewiesen sind. Die meisten der im Rahmen der CLT formulierten Gestaltungsempfehlungen wirken sich hingegen vornehmlich positiv bei Novizen aus, während sie auf Experten einen geringen, keinen oder bisweilen sogar einen negativen Effekt aufweisen (Low und Sweller, 2005).
Erklärungsansätze
Zum Expertise-Umkehr-Effekt liegt eine Reihe von Erklärungsansätzen vor:
- Überlastung des Arbeitsgedächtnisses und Redundanzeffekt: Nach dem gängigsten Ansatz wird das Arbeitsgedächtnis von Novizen durch zu schwierige Lernmaterialien kognitiv überlastet. Experten können hingegen durch zu leichte Lernmaterialien aufgrund des Redundanzeffekts in ihren Lernleistungen beeinträchtigt werden. Genauer gesagt würden redundante Materialien bei Experten zu Interferenzen (Überschneidungen) führen und damit die lernirrelevante kognitive Belastung erhöhen. In der Folge würde sich der Wissenserwerb reduzieren.
- Individuelle Unterschiede in der Motivation: Paas, Tuovinen, Van Merriënboer und Darabi (2005) beziehen in ihrer Erklärung zum Expertise-Umkehr-Effekt die Motivation der Lernenden mit ein. Lerner mit hoher Expertise würden durch einfache und stark strukturierte Lernumgebungen und Aufgaben, die speziell für Novizen konzipiert wurden, nicht hinreichend motiviert, ihre zur Verfügung stehenden kognitiven Kapazitäten in derartige Umgebungen zu investieren (vgl. auch Orvis, Horn und Belanich, 2008).
- Individuelle Unterschiede bei der Generierung mentaler Bilder: Ein weiterer Erklärungsansatz zum Expertise-Umkehr-Effekt kann auf Basis des Prinzips individueller Unterschiede der CTML vorgenommen werden. Das Prinzip beschreibt den moderierenden Einfluss von individuellen Differenzen im Vorwissen und den räumlichen Fähigkeiten auf das Multimediaprinzip , das zeitliche und räumliche Kontiguitätsprinzip und das Prinzip der geteilten Aufmerksamkeit. Hinsichtlich des Vorwissens besagt das Prinzip individueller Unterschiede, dass die drei aufgeführten Gestaltungsempfehlungen einen stärkeren Einfluss auf die Lernleistung Lernender mit geringer bereichsspezifischer Expertise besitzen als auf Lerner mit hohem Vorwissen (Muthukumar, 2005). Begründet wird die Empfehlung mit der höheren Fähigkeit zur Generierung mentaler Bilder bei Experten. Diese seien dadurch weniger abhängig von der Präsentationsform der multimedialen Botschaft.