Kognitive Theorie multimedialen Lernens
Fazit
Wie bei der CLT wird auch in der CTML ein "Weniger ist mehr"-Gedanke (vgl. auch Dwyer, 1972) bei der Gestaltung von Lernmaterialien vertreten. Ziel ist es, das Arbeitsgedächtnis nicht unnötig zu belasten (z.B. Butcher, 2006; Moreno und Mayer, 2004). Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Theorien (vgl. dazu das Fazit der CLT) stellt die Zurückweisung von Konzepten wie das des entdeckenden Lernens (discovery learning) oder das der erfahrungsorientierten Erziehung (experiential education) dar (z.B. Mayer, Mautone und Prothero, 2002). Stattdessen wird ein direktiveres Vorgehen bei der Wissensvermittlung propagiert. Dadurch soll der Lernende beim Aufbau verbaler und piktorialer, mentaler Modelle unterstützt werden.
Kritik
Neben der unzureichenden Berücksichtigung motivationaler und emotionaler Prozesse in der CTML werden auch grundlegende Zweifel geäußert, ob sich die Gestaltungsempfehlungen der CTML zu primär naturwissenschaftlichen Untersuchungsmaterialien auf Lernmaterialien zu sozialwissenschaftlichen Themen übertragen lassen. Experimentalserien deuten darauf hin, dass eine Generalisierung der CTML auf derartige Wissensgebiete nicht statthaft ist (De Westelinck et al., 2005; vgl. auch Ginns, 2005). Auch die Übertragung einzelner Empfehlungen der CTML auf Hypermedia-Umgebungen mit enthaltener Lernerkontrolle und ohne Zeitbeschränkung für die Bearbeitung verbessert die dortigen Lernleistungen nicht (Gerjets, Scheiter, Opfermann, Hesse und Eysink, 2009). Wie die CLT basiert die CTML zudem auf älteren Annahmen und empirischen Befunden ohne in hinreichendem Maße neuere kognitionspsychologische Konzepte und Befunde sowie Ansätze aus anderen Disziplinen (z.B. aus den Neurowissenschaften und aus der Forschung zur künstlichen Intelligenz, beispielsweise bei der Bildung mentaler Repräsentationen) aufzugreifen. Prozesse im Langzeitgedächtnis werden aufgrund der Fokussierung auf das Arbeitsgedächtnis im Modell stark vernachlässigt. Darüber hinaus vereinfacht das Modell Prozesse beim multimedialen Lernen teilweise über Gebühr und wirkt deshalb stellenweise unpräzise. Zum Beispiel wird nicht erörtert, wie die Integration zwischen den verbalen und piktorialen Modellen sowie dem Vorwissen des Lernenden genau erfolgt (Reed, 2006) und wie dieses neu entstandene Wissen anschließend dem Langzeitgedächtnis hinzugefügt wird. Ebenso werden Begriffe innerhalb der CTML inkonsistent verwendet. So definieren Moreno und Mayer (2005) Interaktivität in einer Studie als Möglichkeit, in einer Multimediaumgebung Antworten auf zuvor präsentierte Problemstellungen auswählen zu können, während der Lernende bei fehlender Interaktivität die korrekten Antworten durch den Computer automatisch erhält. In anderen Publikationen zur CTML werden hingegen gänzlich andere Begriffsbestimmungen herangezogen (vgl. die Webseiten zum Thema Interaktivität sowie das Interaktivitätsprinzip der CTML). Auch bezüglich der postulierten Gestaltungsempfehlungen aus der CTML und CATLM fällt trotz der eindrücklichen Anzahl an experimentellen Überprüfungen die empirische Befundlage für einzelne Empfehlungen zum Teil uneinheitlich aus. Außerdem bleiben in mehreren Experimenten zur CTML die in der Einleitung aufgeführten methodischen Probleme unbeachtet (z.B. Mayer, Hegarty, Mayer und Campbell, 2005). Zudem finden in Überblicksartikeln zur CTML vornehmlich nur theoriestützende Befunde Erwähnung (z.B. Mayer, 2005d).
Würdigung
Insgesamt kann die kognitive Theorie multimedialen Lernens jedoch als theoretisch differenzierte Theorie bewertet werden, aus der sich eine Vielzahl von Empfehlungen für die Gestaltung multimedialer Lernumgebungen ableiten lässt. Mayers Darstellungen in seinen zahlreichen Artikeln sind prägnant und die angesprochenen Kritikpunkte werden durch verwandte Modelle wie dem integrativen Modell des Text- und Bildverständnisses von Schnotz (2005) oder der CATLM zum Teil entkräftet. Letztgenannte Erweiterung berücksichtigt auch die taktile, olfaktorische und gustatorische Informationsaufnahme und bezieht motivationale, affektive und metakognitive Gesichtspunkte beim Lernen mit Multimedia in das Modell ein. Allerdings fehlen bisher detaillierte Angaben und Gestaltungsempfehlungen im Hinblick auf diese Aspekte.